Der alte Hund und das Meer

Unser erster Urlaub seit Langem stand vor der Tür, dieser fiel coronabedingt etwas kleiner aus. Es sollte an die Ostsee gehen, genauer gesagt direkt nach Kiel. 
Angeblich gibt es dort viel Wasser, ich war sehr gespannt, denn ich hatte bis dahin noch nie ein Meer gesehen. Aber wer weiß, ob ich da überhaupt so viel verpasst habe, Wasser mag ich nämlich nicht besonders.
Meine Menschen hatten sich tatsächlich in den Kopf gesetzt, mit der Bahn zu reisen und mich mussten sie natürlich mitschleppen. Ich merkte, dass ich scheinbar für Einschränkungen sorge, da ich die Zweibeiner immer wieder Dinge sagen hörte wie: „Das Hotel erlaubt aber keine Haustiere!“, und „Ich bin sowieso eher für eine Ferienwohnung, das ist doch auch für Mike entspannter.“ 
Als endlich eine schöne Unterkunft gefunden worden war, ging es ans Eingemachte. Nachdem meine Menschen eine passende Bahnverbindung ausfindig gemacht hatten, unterbrachen sie plötzlich ihre Vorbereitungen. „Was ist denn jetzt los? Warum kann ich hier keinen Hundetarif auswählen?“, hörte ich mein Herrchen schimpfen. „Keine Ahnung, habe ich bisher noch nie gebraucht“, erwiderte eine Frauenstimme. 
Ich spitze die Ohren, anscheinend ging es um mich. Es wurde ewig diskutiert und recherchiert, bis sich eine Lösung fand. Aha, wenn es nach der Deutschen Bahn geht, bin ich also ein minderjähriges, alleinreisendes Kind. „Das muss man aber auch erstmal wissen, steht doch nirgends!“, empörten sich meine beiden Adoptiveltern. 
Also, wenn ich das alles richtig verstanden habe, muss ich den halben Preis bezahlen, da ich größer bin, als eine Hauskatze und somit nicht in einer Box oder Tasche transportiert werden kann. Toll! 
Der blöde Chihuahua, der in der Wohnung über mir haust, dürfte also kostenfrei mitfahren. Dabei bin ich viel umgänglicher und friedlicher als diese aggressive Kampfratte. 
Kleine Menschlein bis 14 Jahre reisen in Begleitung eines Erwachsenen auch kostenlos, deshalb muss ich mich als unbegleitetes Kind ausgeben, um überhaupt ein Ticket zu bekommen. Frechheit! Warum dürfen die umsonst mitkommen und ich nicht? Die brauchen immerhin einen eigenen Sitzplatz, machen viel mehr Dreck und sind meistens auch noch unheimlich laut. Manchmal essen sie sogar im Zug und krümeln alles voll. 
Ich hingegen, liege friedlich unter dem Sitz, tue keiner Menschenseele was Böses und will einfach nur meine Ruhe haben. 
Aber die Diskussion ging noch weiter. „Ach nein, jetzt kann ich das Ticket für Mike nicht mal in der Onlinevariante kaufen!“, rief Herrchen und wirkte sichtlich gestresst. 
„Unsere können wir doch auch herunterladen und selbst ausdrucken.“ 
Er stöberte in den Tarifinformationen der Bahn und suchte dann weiter in diversen Reiseblogs, Infoseiten und Erfahrungsberichten. „Aha“, hörte ich plötzlich, „hier steht was.“

Das Ticket für einen Hund kann wohl nicht online zur Verfügung gestellt werden, da ein Tier nicht in der Lage ist, sich bei einer Kontrolle auszuweisen. 
Es musste also per Post bestellt werden, natürlich zuzüglich der Portokosten. Aha. Das ist ja wohl eine Unverschämtheit, dass mir hier jegliche Kompetenz abgesprochen wird. 
Mit einem ausgedruckten Ticket kann ich mich also ausweisen? Es ist doch wohl völlig egal, ob ich ein Smartphone oder einen Umschlag zwischen meine Pfoten klemme. 
Kindern wird sowas zugetraut, aber dem dummen Hund natürlich nicht. 
Das ist wieder typisch. WAU! 
Außerdem erledigen das sowieso die Zweibeiner für mich. Deshalb verstehe ich erst recht nicht, warum meine Besitzer ihre Tickets auf dem Handy haben dürfen und meins im Papierformat vorzeigen müssen. Diese Menschen sind schon komisch. 
Zum Glück hat dann doch alles reibungslos funktioniert und die Zugfahrt war nicht mal unangenehm. 
Auf einem Großteil der Strecke hatten wir sogar ein ganzes Abteil für uns alleine. 
Das einzig Nervige war, dass ich während der gesamten Fahrt meinen Maulkorb tragen musste – Vorschrift eben! Ich beiße doch niemanden ohne Grund. Nur wenn mir jemand mein Essen wegnehmen will, werde ich böse. Macht man ja auch nicht. 
Die anderen Passagiere hatten allerdings auch lustige Gesichtsmasken auf, dadurch war es für mich nur halb so schlimm. Wenn schon, dann sehen wir wenigstens alle affig aus.
Die aufwändige Buchung und der dämliche Maulkorb waren schnell vergessen, als mir das erste Mal die steife Brise um die Nase wehte und ich die salzige Meeresluft schnuppern konnte. Herrlich! Das war ja doch viel schöner als erwartet.
Zum ersten Mal in meinem Leben saß ich im Sand, habe Möwen gesehen und Seeluft eingeatmet. Leute, das ist die wahre Freiheit.
Obwohl ich leider nicht bei allen Ausflügen dabei sein konnte, habe ich den Urlaub sehr genossen.
Mehr noch – ich bin richtig angefixt und will unbedingt noch mehr von der Welt sehen. Wo es hingeht, ist mir egal. Ein Hundeleben ist sowieso zu wenig, um alles zu erleben. 
Aber die Hauptsache ist, dass wir im Rudel unterwegs und meine Menschen dabei sind. Auf mich alleine gestellt war ich nämlich lange genug. 

Ich bin ein lieber Hund und habe mich so gut es geht integriert und an mein neues Leben angepasst. Also habe ich es auch verdient, geliebt und verwöhnt zu werden und mein Dasein als Weltenbummler zu genießen.