Von Miezen und Teppichludern
Prag? Hatte ich PRAG verstanden? Meines bescheidenen Wissens nach handelte es sich dabei schon wieder um eine Großstadt. Mein Herrchen wollte schon ewig mal dorthin, so viel habe ich mitbekommen. Ach herrje, dabei wollte ich doch so gerne in die Natur. Ich war immerhin letztes Jahr schon in Hamburg, aber der kommende Urlaub schien erneut auf einen Städtetrip hinauszulaufen. Für mich ist so eine Stadt anstrengend und wenig interessant – in die meisten Museen und Geschäfte darf ich sowieso nicht rein. Aber gut, wenigstens darf ich überhaupt mitkommen und muss nicht von Opa betreut werden. Obwohl ich natürlich gerne dort zu Gast bin und er sich hervorragend um mich kümmert, ist es doch was anderes, wenn ich mit meinem Rudel zusammen bin. Außerdem habe ich mir ja auch vorgenommen, so viel wie möglich von der Welt zu sehen.
Die Zweibeiner beabsichtigten natürlich schon wieder, mit der Bahn zu fahren. Muss das denn sein? Unsere Tickets konnten wir aber tatsächlich alle gemeinsam buchen, in nur einem Schritt!
Mein Herrchen war auch völlig überrascht und rief erfreut: „Schau mal, man kann bei der Buchung jetzt sogar auswählen, ob ein Fahrrad, ein Hund oder Kinder dabei sind!“ Das hätte mich ja beinahe aus den Socken gehauen, wenn ich denn welche getragen hätte.
Na gut, meine erste Reise ans Meer war auch schon wieder eine ganze Weile her und wie es aussieht, entwickeln sich manche Dinge eben doch weiter. Wir konnten also unsere Fahrkarten problemlos kaufen, fanden ein hundefreundliches Hotel und dann ging es auch schon los. Um den Maulkorb kam ich natürlich nicht herum, das wäre auch zu schön gewesen. Klar, diese Regel hat die Bahn selbstverständlich beibehalten, allen Neuerungen und Innovationen zum Trotz. Aber hey, so sehe ich wenigstens ein bisschen gefährlich aus und werde nicht gleich von jedem Menschen betatscht. Die nervtötende Töle im Stockwerk über uns kann ich in dem Aufzug vielleicht auch gleich ein bisschen einschüchtern. Verkleidet als Hannibal Lecter kletterte ich in die Bahn und wir suchten uns ein ruhiges Plätzchen.
Irgendwann kam ein Kontrolleur und fragte jeden Reisenden nach dem Ausweis. Nicht, dass noch jemand die Fahrkarte eines anderen geklaut hat! Als er bei uns ankam, mussten auch meine beiden Zweibeiner ihre Dokumente herausholen, der nahm es wirklich ganz genau. „Die Fahrkarte für den Hund bitte noch!“, sagte er. „Der hat aber keinen Ausweis“, erwiderte mein Frauchen genervt und die Leute vor uns kicherten leise.
Die kann auch manchmal ihre Klappe nicht halten. Natürlich habe ich keinen, woher auch? Ich weiß nicht mal, wann ich geboren wurde, geschweige denn wo genau. Irgendwo in Rumänien - ob das reicht und man das so eintragen könnte? Hoffentlich setzt der mich nicht vor die Tür. Aber zum Glück schien er recht entspannt zu sein. „Der braucht auch keinen“, zwinkerte der Mann und nahm es mit Humor. Glück gehabt! Die Fahrt dauerte gefühlt ewig und ich war froh, dass wir zwischendurch ein bisschen Umsteigezeit hatten und ich mir draußen auch mal die Beine vertreten konnte.
Als wir im Hotel ankamen, traute ich meinen Augen kaum. Was für toller Schuppen! Endlich mal eine standesgemäße Unterkunft. Das Etablissement wirkte sehr schick und hochwertig. „Hier muss ich mich benehmen, sonst könnte es Ärger geben“, schoss mir durch den Kopf. Aber wenn ich dort nicht erwünscht gewesen wäre, hätten die Menschen das sicher nicht ausgesucht. Ich durfte im Zimmer erstmal zu Abend essen und mich dann endlich hinlegen. So eine Reise schlaucht wirklich.
Der Urlaub war entspannter, als ich anfangs dachte. Wie ich vorhergesagt hatte, hatte ich in den meisten Einrichtungen Hausverbot, sodass die Zweibeiner den Großteil des Tages alleine unterwegs waren. Wir gingen zwar mehrmals täglich spazieren, aber ich konnte zwischendurch immer ein paar Stunden im Hotelzimmer auf meiner Decke liegen, dösen und relaxen - herrlich.
Von der Stadt hatte ich allerdings in den ersten Tagen noch nicht allzu viel gesehen.
Einmal kamen die beiden zurück und rochen ganz unangenehm nach irgendwas, was mir bekannt vorkam… Aber was war es nur? Es wollte mir zuerst partout nicht einfallen, dabei hatte ich es bereits wahrgenommen, als meine Besitzer den Flur entlanggingen.
Die Zimmertür wurde aufgerissen und da traf mich der Schlag: Katze! Es roch nach KATZE! Mister Miyagi war doch gar nicht mitgekommen, oder hatte ich mal wieder was verpasst? Den alten Hund fragt doch sowieso keiner. Aber nein, der kleine Kerl duftet anders. Ich hörte, wie mein Frauchen begeistert von einem sogenannten „Katzencafé“ schwärmte. Die war ja völlig aus dem Häuschen. „Oh, die waren ja soooo süß! Ich habe schon überlegt, wie viele Klamotten ich entbehren kann, damit möglichst viele Katzen in den Rucksack passen. Am liebsten hätte ich alle mitgenommen.“
Na, so weit kommt’s aber noch! Einer von der Sorte reicht mir, vielen Dank. Nicht auszudenken, was zu Hause los wäre, wenn da noch mehr wildgewordene Miezen losgelassen werden. Ich habe allerdings schon mitbekommen, dass mein Frauchen ein großer Fan von diesen kleinen Kratzbürsten ist.
Am nächsten Tag wurde meinem empfindlichen Geruchsorgan schon wieder einiges zugemutet. Dieses Mal rochen die beiden Zweibeiner nach Bier. Wenn ich das richtig verstanden habe, haben sie das nicht nur getrunken, sondern sogar darin gebadet. Würg! Angeblich soll das gut für die Haut sein und der Entspannung dienen. Für solche Verrücktheiten gibt’s sogar spezielle Einrichtungen, sogenannte „Bier Spas“. Die spinnen, diese Menschen. Auf so eine blöde Idee würde ich niemals kommen. Ich finde baden im Wasser schon unangenehm genug, von anderen Flüssigkeiten ganz zu schweigen.
Katzencafés, Bierbäder… also Sachen gibt’s! Da lob‘ ich mir doch mein ruhiges und gemütliches Hotelzimmer. Ich fands gar nicht mehr so schlimm, dass die meisten Aktivitäten ohne mich stattfanden.
Ich kam trotzdem oft genug vor die Tür und konnte die Umgebung kennenlernen.
Eines Nachmittags kam mein Herrchen schon früher aus der Stadt zurück und holte mich zu einem Spaziergang ab. Ich freute mich riesig und konnte es kaum erwarten.
An Schlaf war ohnehin nicht zu denken, da schon den ganzen Tag draußen auf dem Flur ein Höllenlärm veranstaltet wurde. Soweit ich mitbekommen hatte, wurde der Teppich neu verlegt.
Als ich meine Leine angelegt bekommen hatte und unsere Zimmertür geöffnet wurde, sprang ich überschwänglich hinaus und landete in einer weißen, schmierigen Flüssigkeit, die noch dazu übel roch.
„Oh no!“, rief ein mir unbekannter Mann und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Offensichtlich einer der Handwerker, die für die Teppichaktion ins Hotel gekommen waren.
Er redete etwas in einer Sprache, die weder ich noch mein Herrchen verstanden, das was die Zweibeiner „Englisch“ nennen, konnte es also schon mal nicht gewesen sein. Der Kerl gestikulierte wild und versuchte, mit Händen und Füßen etwas zu erklären.
Nach dem ersten Schreck sah ich erst, dass der Teppich in der Mitte zusammengerollt war. Eine Hälfte war bereits verlegt, die andere lag mit der Rückseite nach oben in der Mitte des Ganges und auf der anderen Hälfte des Bodens wurde die weiße Pampe verteilt. Das war vermutlich der Leim.
Mein Pfötchen klebte und war feucht und um das Zeug möglichst schnell loszuwerden, hüpfte ich sofort auf die bereits verlegte Teppichhälfte.
Moment mal, das war falsch, oder? Ich schaute erschrocken, genauso wie der Handwerker, aber es war bereits zu spät.
Vielleicht hätte ich den Kleister lieber an der Unterseite abstreifen sollen? Die lag schließlich aufgerollt daneben und sollte sowieso umgeklappt und verklebt werden. Ups!
Der Mann schaute finster und wirkte ziemlich schlecht gelaunt. Ich hörte mein Herrchen noch so etwas wie „Sorry“ murmeln und trottete beschämt und mit eingezogenem Schwanz davon.
Dabei hatte ich mir extra vorgenommen, mich hier zu benehmen. Aber selbst schuld, was machen die sowas auch im laufenden Hotelbetrieb? Das muss doch angekündigt werden.
Der Kleber trocknete ziemlich schnell und bröselte ab, was sich kurzzeitig ziemlich unangenehm anfühlte.
Als wir wieder zurückkamen, konnte ich zumindest keinen hellen Fleck auf dem Teppich vor unserer Zimmertür entdecken. Na also!
Mal wieder viel zu schnell, war dann auch der Tag der Abreise gekommen. Ich hatte etwas von einem „Bahnstreik“ aufgeschnappt, hoffte aber, dass wir gut nach Hause kamen. Am Hauptbahnhof angekommen, fing das Chaos allerdings schon an.
Die Zweibeiner wussten überhaupt nicht, wo wir einsteigen sollten und wie wir überhaupt zu den Gleisen kamen. Angeblich war alles schlecht ausgeschildert. Nun ja, ich konnte das jedenfalls nicht beurteilen.
Es war schlimm genug, dass wir schon wieder mit so einer blöden Rolltreppe fahren mussten. Noch so eine kuriose Erfindung der Menschen. Wir werden mindestens dreimal täglich vor die Tür gezerrt, aber die brauchen selbstfahrende Treppen um einen Höhenunterschied von ein paar winzigen Metern zu überwinden. Aber was will man von Lebewesen, die nur zwei Beine haben, auch erwarten? Ich zumindest, hasse diese Geräte! Die waren mir schon immer unheimlich und ich habe lange gebraucht, bis ich mich von alleine auf so ein Ding getraut habe. Nun war das leider ein notwendiges Übel und ich hörte auch schon, wie mich die Leute hinter mir verspotteten, weil ich quer und mit durchgedrückten Pfoten vor der ersten Stufe stand und immer noch hoffte, mein Herrchen würde mich tragen. Also Augen zu und durch!
Oben angekommen, klemmte ich mir eine meiner Vorderpfoten in diesem riesigen Spalt ein und musste vor Schreck laut fiepsen. Meine Besitzer schauten erschrocken und beugten sich sofort zu mir runter, da stellte ich fest, dass ich sogar blutete! AU und WAU! So ein Mistding! Ich hab‘s doch gewusst - das ist Teufelszeug. Herrchen tröstete mich, untersuchte die Pfote gründlich und verarztete sie provisorisch, während er mir beruhigend über den Kopf streichelte. Nachdem der erste Schock überwunden war, konnte ich weiterlaufen und mich im Zug erst einmal ausruhen.
Leider mussten wir auch noch umsteigen, sodass ich keine Gelegenheit hatte, mein Bein durchgehend zu schonen, bis die Verletzung abgeheilt war. Als wir endlich die letzte Etappe erreicht hatten und im finalen Zug gen Heimatbahnhof saßen, ertönte eine niederschmetternde Durchsage. „Sehr geehrte Fahrgäste, wir müssen Sie darauf hinweisen, dass heute beide Zugtoiletten außer Betrieb und somit unbenutzbar sind.“ Mein Frauchen, die sich kurz vor der Abfahrt noch einen Tee gekauft hatte, wurde hellhörig und riss die Augen auf.
„Das meinen die doch nicht ernst?!“, rief sie. „Ich muss schon die ganze Zeit mal. Wir waren seit Prag nicht mehr auf der Toilette, da der andere Zug aufgrund des Streiks vollgestopft bis oben hin und ein Durchkommen nicht möglich war. Und ich wollte jetzt auch noch gemütlich meinen Tee trinken. Da platze ich ja!“ „Naja, ich muss eigentlich auch“, bestätigte mein Herrchen. „Wäre es denn sehr schlimm, wenn wir wieder aussteigen und in einer Stunde erst mit dem nächsten Zug fahren?“ Ja, das wäre ziemlich schlimm. Jedes Mal muss ich diese blöden Stufen überwinden, den Maulkorb auf- und absetzen und mich an hunderten von Beinen vorbeimogeln. Aber es half nichts, das ganze Gepäck wurde wieder zusammengesucht und wir verließen überstürzt den Waggon.
Die Zweibeiner machten sich erstmal auf die Suche nach einem stillen Örtchen. Nachdem sie sich endlich erleichtert hatten, mussten wir die Zeit bis zur Abfahrt der nächsten Bahn totschlagen und schnupperten außerhalb des Bahnhofs ein bisschen frische Luft.
Ich war so müde und geschafft, außerdem tat meine Pfote vom Rolltreppenunfall immer noch weh, sodass ich einfach nur nach Hause wollte. Endlich kam unser Zug und ich legte mich völlig erledigt in den Gang.
Plumps, einfach hinfallen und Augen zu machen!
„Können Sie den Hund nicht unter dem Sitz platzieren?“, ertönte eine harsche Stimme, die mich unsanft aus meinem Traum hochschrecken ließ. „Das ist ein Fluchtweg und der muss frei bleiben!“ Ein unfreundlicher Kontrolleur schaute mich und mein Herrchen finster an.
Platzieren? Wie redet der denn über mich? Ich bin doch kein Gegenstand, den man verschieben kann, wie man möchte und der dann regungslos an Ort und Stelle verharrt. Ich bin ein freier Hund, habe ganz offiziell eine Fahrkarte und lege mich immer noch dorthin, wo es mir gefällt. Eine bodenlose Unverschämtheit nach all den Strapazen! Meine Menschen versuchten mich sanft zwischen ihre Beine und unter die Sitze zu locken. Nein, das gefiel mir nicht! Ich stand auf und legte mich wieder in den Gang.
Der Kontrolleur kam zurück.
„Und Sie schaffen es wirklich nicht, den Hund woandershin zu locken? Ich sage es Ihnen nochmal, der Gang ist ein Fluchtweg“, sagte er frech.
Fluchtweg, na klar. Der hätte mal sehen sollen, wie es im vorherigen Zug aussah. Dort hatten wir nicht mal einen Sitzplatz, die Menschen hockten auf Treppen, Gepäckablagen und zwischen den Fahrradständern. Wäre es da zu einem Notfall gekommen, wären Hopfen und Malz verloren gewesen. Ich fand es ziemlich spannend, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wurde und hätte den unfreundlichen Herrn gerne ins Bein gezwickt. Maulkorb sei Dank, ging das nicht, da hat dieser Flegel aber Glück gehabt!
Nach einer weiteren Stunde Fahrt ertönte endlich die erlösende Durchsage. Nächster Halt: Heimatbahnhof! Schon lange habe ich mich nicht mehr so sehr auf mein Zuhause gefreut. War das alles aufregend!
Die Stadt an sich hat mir gut gefallen und auch das Hotel war sehr gemütlich. Aber ich glaube, so ein Städtetrip ist nicht das Richtige für mich. Ich freue mich schon wieder auf das Meer, wer hätte das gedacht.